Die Melancholie des Emigranten beim Besuch in der Heimat (Juli 2008)

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(Nicseni, Jud. Botosani)

Die langersehnte Ankunft nach Monaten voller entbehrungsreicher Arbeit, das Warten auf die bekannten Gesichter daheim, den Geschmack, die Gerüche der Kindheit. Doch schon im Augenblick des Ankommens das Bewusstsein dafür, dass die Zeit begrenzt ist und das in diesem Moment die Sanduhr umgedreht wird und die Zeit rückwärts läuft. Rückwärts, bis zum Abschied, der unaufschiebbar am Horizont steht mit all den Tränen und dem Kummer, der das Zurück ins fremde Land einleitet, wo es zwar Arbeit gibt und vielleicht andere, bessere Lebensbedingungen, wo aber die Familie fehlt, die Freunde, alles Vertraute.
Doch sei’s drum, so geht es nun mal im Leben. Also stürzt man sich in den Trubel der Heimkunft, fällt in die Arme der Eltern, der Geschwister – falls diese nicht auch irgendwo im Ausland sind und keinen Urlaub zur rechten Zeit bekommen haben –, Großeltern, setzt sich an den reich gedeckten Tisch, prostet sich glücklich zu und beginnt zu erzählen von dem Leben in der Fremde. Eine Hand am Weinglas greift man in die Tasche und zieht Fotos heraus, zeigt seine Wohnung im Ausland, die Anordnung der Zimmer, häufiger aber noch Bilder von Ausflügen, die man dort in der knapp bemessenen Freizeit unternommen hat, in Gegenden, die den Daheimgebliebenen unbekannt bleiben. Die aber mit vor Staunen weiten Augen von den Besuchen alter Kirchen und Schlösser, Besteigungen fremder Berge und Spaziergängen durch exotisch klingende Städte hören und angeregt mit den Köpfen nicken.
Obwohl man müde von der Anreise ist wird der erste Abend lang vom vielen Erzählen und Essen und Trinken und erst spät fällt man glücklich und erschöpft in die Kissen, die so vertraut und heimelig duften.
Am nächsten Morgen warten bereits die ersten Verwandten, die bereits lange vorher über die baldige Ankunft informiert waren. Wieder beginnt man mit dem Erzählen, wieder werden Fotos herumgereicht. Die Nachbarin von gegenüber findet sich ebenfalls ein, bei der man einen guten Teil der Kindheit verbracht hat und schließt einen in die Arme. Natürlich fließt auch hier und da eine Träne der Freude, des Glücks beim Wiedersehen.
Wieder wird festlich getafelt, all die lang vermissten Speisen aus eigener Herstellung werden aufgetischt, man isst, man trinkt, man badet im Glück der Heimkehr. Und der erste Tag neigt sich auch schon dem Ende zu. Am zweiten, spätestens am dritten Tag beginnt man, in der heimischen Wirtschaft auszuhelfen, sich nützlich zu machen. Man sieht die Mühsal des Alltags und spürt sie am eigenen Leib. Auch sieht man – vielleicht jetzt zum ersten Mal – die Mängel und Probleme in der Heimat, die Schwierigkeiten, mit denen die Menschen tagtäglich zu kämpfen haben, denen man in gewisser Weise entkommen ist. Und gleichzeitig merkt man in diesem Strom von Geborgenheit und Bekanntheit, dass sich etwas geändert hat. Dass man sich geändert hat. Dass man hier zwar Zuhause ist, dass man von jedermann auf der Straße gegrüßt wird und vielen als der Kleine in Erinnerung geblieben ist, der damals…, na weißt du nicht mehr? Trotzdem ist man nicht mehr fester Bestandteil dieser Gemeinschaft. Das erkennt man schon daran, dass man, wenn es um den neusten Tratsch im Ort geht, erst einmal auf den letzten Stand gebracht werden muss: „Mensch, das ist doch die, welche damals dies und jenes und die dann dahin gezogen ist und dann. Na, die jedenfalls ist jetzt. Und zwar mit dem und dem. Erinner’ dich, der hatte doch zuerst und danach war er eine Zeitlang. Genau der.“ – Man ist nicht mehr im Bilde. Gleichzeitig haftet einem das Fremde an. Nicht unbedingt durch die Kleidung, die natürlich auch eine gewisse Veränderung mit sich bringt. Aber das ist es nicht. Es ist der Geruch der Fremde, des Lebens in der Fremde. So kommt es, dass Nachbarn, die man bisher nur flüchtig vom Grüßen auf der Straße kannte, jetzt stehen bleiben und fragen, wie es geht und was man so macht und wie es ist, da, wo man jetzt ist.
Man merkt, dass man die Dinge mit anderen Augen betrachtet, und dass man genau so mit anderen Augen betrachtet wird.
Man beginnt plötzlich, ein bisschen zu …, ja, zu fremdeln. Und langsam wird Einem bewusst, dass man begonnen hat, zwischen den Welten zu leben. Auch wenn man jetzt hier in der Heimat ist, so zeugen allein schon die Etiketten auf der Zahnpastatube und der Duschgelflasche davon, dass man woanders lebt. Ein hoher Preis, den man begonnen hat zu bezahlen, ohne sich dessen von Anfang an bewusst zu sein. Der erbarmungslos ist. Niemand ist immun dagegen. Einen gewissen Schutz bietet das Leben im Ausland unter Seinesgleichen, wo man die eigene Sprache weiterhin spricht, wo abends im Kochtopf wohlvertrautes Essen zubereitet wird. Doch auch dann wird man nicht unberührt bleiben vom Alltag, vom Duft der Fremde, den man bei der Heimkunft in jedem Knopfloch und in jeder Pore mit sich trägt.
Und langsam, aber kontinuierlich verliert man so die eigene Heimat. Es ist kein abrupter Prozess, er muss noch nicht einmal wehtun, vielen wird er nicht bewusst. Trotzdem findet er statt, trotzdem verändert er uns. Zunächst ist man in dem anderen Land ein Fremder, der sich abends nach Hause sehnt und jeden Monat eine viel höhere Telefonrechnung bekommt, als er sich leisten kann. Dann kommt man nach Hause, und ist auf einmal auch dort nicht mehr der Alte, vielleicht kein ganz Fremder, aber auch kein alteingesessener Einheimischer mehr. Dafür fehlt jetzt zuviel des Gewohnten. Also wird man zu einem Heimatlosen, Einem, dem die Wurzeln ausgerissen wurden, der sich nirgendwo mehr zu Hause fühlt. Positiv ausgedrückt, wird man zu einem Vermittler zwischen den Welten, zu einem Kosmopoliten, der sich überall ein Heim einrichten kann. Der den Mobilitätsanforderungen einer modernen Welt optimal entspricht.
Wahrscheinlich ist dies das Lebensmodell der Zukunft, vielleicht schon der Gegenwart. Gibt es noch viele Menschen der jüngeren Generation, die nicht bereits eine gewisse Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet oder studiert haben? Die sich schließlich entschieden haben, ganz dort im Ausland zu bleiben und sich nicht länger vormachen, irgendwann zurückzukehren.
Für Länder wie Deutschland sind das vielleicht weniger, in Rumänien sicherlich bedeutend mehr Menschen, die ihr Glück und ihre Zukunft im Ausland wagen und suchen.
Und die damit dem entsprechen, was seit langem schon von Wirtschaftsexperten und Fachleuten bei Bewerbungskandidaten gefordert wird.

Selbst wenn damit so manches Herz bricht beim Besuch in der Heimat und viele Tränen fließen, vor allem im Sommer und um Weihnachten.

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