Nicseni, Judetul Botosani

Dorfschaenke-mit-Kundenfahrzeug

Am äußersten Ostrand der Europäischen Union liegt ein kleines Dorf. Eine asphaltierte Straße führt hindurch, allerdings verirrt sich in der Regel niemand hierhin. Wenn man von der Kreisstadt aus kommt, dann gibt es keinen Wegweiser. Man muss die richtigen Leute am Straßenrand fragen, dann findet man vielleicht den Weg (die Angestellten in einer größeren Tankstelle der Kreisstadt zum Beispiel hatten keine Ahnung, wo dieses Dorf liegen soll).
Hat man dann die kleine Straße entdeckt - vom Zentrum der Kreisstadt aus muss man an der Ampel vor der MOL-Tankstelle rechts ab, dann die nächste wieder links und dann die übernächste wieder rechts ab, wie gesagt: keine Wegweiser - so glaubt man bald, auf dem falschen Weg zu sein. Nämlich dann, wenn die letzten Häuser zurückbleiben und die Straße steil abfällt und es auf einmal keinen Asphalt mehr gibt. Es gibt dann einen Wegweiser zu einem Eisenbahnhalt in 19 km Entfernung.
Von dem rustikalen Straßenbelag darf man sich nicht abschrecken lassen und nach ein paar Kilometern kehrt der Asphalt zurück. Man gelangt dann in einen Ort namens "Roma", der schon ziemlich ländlich wirkt. Falsch machen kann man jetzt eigentlich nichts mehr, wenn man auf der Hauptstraße bleibt - viele Nebenstraßen gibt es nicht. Roma wird durchfahren und es wird wieder ein Stück rustikal mit einigen Aufs und Abs. Nach einiger Zeit Fahrt - Maisfelder links und rechts - steht man auf einmal vor dem Ortseingang:
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Uhren, Handys etc. kann man getrost am Dorfeingang abgeben, denn ab jetzt braucht man sie nicht mehr. Das Leben geht seinen eigenen Rhythmus, von den Bedürfnissen vorgegeben.
Die einzigen Geräusche kommen von Tieren, ganz selten einmal von einem Auto. Am Wochenende weht der Wind die Musik von Hochzeitsgesellschaften aus dem Dorfkulturhaus durch den Ort. Das war es aber dann auch schon.
In diesem Sommer war es das Klappern der Störche auf dem Strommast gegenüber, das in Erinnerung geblieben ist.

Die Dorfschänke - wobei es eigentlich mehrere gibt, ich jedoch aus familiären Gründen nur eine kenne - öffnet um 6 Uhr am Morgen und schließt mit dem letzten Kunden. In der Regel ist das nicht so spät, gegen 23 Uhr. Wenn man am Morgen um 7 Uhr eintritt, dann sind bereits eine ganze Zahl von Gästen dort, die sich vor der Arbeit die erste Stärkung abholen.
Als ich um 10 dort an einem Tisch saß und einen Kaffee trank, hielt ein Pferdewagen vor der Tür und ein verwegen aussehender Mann mit noch wilderer Kopfbedeckung trat ein, ging zur Bar und warf einen Schein auf die Theke, als er seine Bestellung machte. Das volle Glas trank er auf Ex aus, drehte sich auf der Stelle um, ging zu seinem Gefährt und verschwand.
Ich saß mit offenem Mund an meinem Tisch. Wie sich herausstellte, war das nicht sein erstes Getränk an diesem Morgen, und es sollte auch nicht sein letztes bleiben.

Neben der Bar befindet sich ein kleiner Lebensmittelladen, dahinter in wenigen Metern Entfernung das Haus der Besitzer. Jeden Tag fährt der Mann in die Kreisstadt, um Lebensmittel einzukaufen. Dann steht seine Frau hinter der Theke. Den Rest des Tages wechseln sie sich ab.

Das Geschäft wirft nicht allzu viel ab, so dass sie auch noch Zubehör für den Brunnenbau verkaufen. Man kann davon leben.
Das Haus wurde selbst gebaut, als man in das Dorf zog. Der eigene Brunnen steht zwischen Bar und Haus. Hinter dem Haus sind Ställe mit zwei Kühen, zwei Schweinen und einer Menge Federvieh. Eine Handvoll Katzen und drei Hunde runden den Haushalt ab.

Der Winter ist hart in dieser Gegend, vor allem, da es im Dorf keinen Gasanschluss gibt. So heizt man mit Holz. Als ich über Weihnachten dort war, habe ich mich fast nur in der Küche aufgehalten, da das der Raum ist, der immer beheizt wird. Besonders schön der Ofen, auf dem das Essen zubereitet und auf dem nachts auch geschlafen wird (da habe ich mich dann aber doch zurückgezogen in eines der vielen Zimmer im Haus).

In der Bar werden Fremde mit großem Respekt, allerdings auch mit einer gewissen Neugierde betrachtet. Leicht kommt man ins Gespräch, vorausgesetzt, man spricht die Landessprache. Dann muss man Fragen beantworten wie: "Wie ist es in Deutschland?"

Eine gewisse, eine gewaltig ins Auge fallende Authentizität kann man dem Leben hier nicht absprechen. Man lebt von dem Angebauten, man arbeitet auf dem Land und mit dem Land. Größeren Luxus gibt es nicht, braucht es vielleicht auch nicht zu geben. Und die Europäische Union ("Uniunea Europeana") ist etwas sehr Fernes, das zwar Einzug in die Nachrichten gehalten hat, aber noch lange nicht in das eigene Leben. Verändert hat sich bisher nichts.
Macht aber auch nichts, denn irgendwie war es schon immer so, wie es jetzt ist und wird es wahrscheinlich auch noch eine ganze Zeit lang bleiben.
Was soll sich auch ändern? Und warum?

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