Sonntag, 16. November 2008

Nicseni, Judetul Botosani

Dorfschaenke-mit-Kundenfahrzeug

Am äußersten Ostrand der Europäischen Union liegt ein kleines Dorf. Eine asphaltierte Straße führt hindurch, allerdings verirrt sich in der Regel niemand hierhin. Wenn man von der Kreisstadt aus kommt, dann gibt es keinen Wegweiser. Man muss die richtigen Leute am Straßenrand fragen, dann findet man vielleicht den Weg (die Angestellten in einer größeren Tankstelle der Kreisstadt zum Beispiel hatten keine Ahnung, wo dieses Dorf liegen soll).
Hat man dann die kleine Straße entdeckt - vom Zentrum der Kreisstadt aus muss man an der Ampel vor der MOL-Tankstelle rechts ab, dann die nächste wieder links und dann die übernächste wieder rechts ab, wie gesagt: keine Wegweiser - so glaubt man bald, auf dem falschen Weg zu sein. Nämlich dann, wenn die letzten Häuser zurückbleiben und die Straße steil abfällt und es auf einmal keinen Asphalt mehr gibt. Es gibt dann einen Wegweiser zu einem Eisenbahnhalt in 19 km Entfernung.
Von dem rustikalen Straßenbelag darf man sich nicht abschrecken lassen und nach ein paar Kilometern kehrt der Asphalt zurück. Man gelangt dann in einen Ort namens "Roma", der schon ziemlich ländlich wirkt. Falsch machen kann man jetzt eigentlich nichts mehr, wenn man auf der Hauptstraße bleibt - viele Nebenstraßen gibt es nicht. Roma wird durchfahren und es wird wieder ein Stück rustikal mit einigen Aufs und Abs. Nach einiger Zeit Fahrt - Maisfelder links und rechts - steht man auf einmal vor dem Ortseingang:
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Uhren, Handys etc. kann man getrost am Dorfeingang abgeben, denn ab jetzt braucht man sie nicht mehr. Das Leben geht seinen eigenen Rhythmus, von den Bedürfnissen vorgegeben.
Die einzigen Geräusche kommen von Tieren, ganz selten einmal von einem Auto. Am Wochenende weht der Wind die Musik von Hochzeitsgesellschaften aus dem Dorfkulturhaus durch den Ort. Das war es aber dann auch schon.
In diesem Sommer war es das Klappern der Störche auf dem Strommast gegenüber, das in Erinnerung geblieben ist.

Die Dorfschänke - wobei es eigentlich mehrere gibt, ich jedoch aus familiären Gründen nur eine kenne - öffnet um 6 Uhr am Morgen und schließt mit dem letzten Kunden. In der Regel ist das nicht so spät, gegen 23 Uhr. Wenn man am Morgen um 7 Uhr eintritt, dann sind bereits eine ganze Zahl von Gästen dort, die sich vor der Arbeit die erste Stärkung abholen.
Als ich um 10 dort an einem Tisch saß und einen Kaffee trank, hielt ein Pferdewagen vor der Tür und ein verwegen aussehender Mann mit noch wilderer Kopfbedeckung trat ein, ging zur Bar und warf einen Schein auf die Theke, als er seine Bestellung machte. Das volle Glas trank er auf Ex aus, drehte sich auf der Stelle um, ging zu seinem Gefährt und verschwand.
Ich saß mit offenem Mund an meinem Tisch. Wie sich herausstellte, war das nicht sein erstes Getränk an diesem Morgen, und es sollte auch nicht sein letztes bleiben.

Neben der Bar befindet sich ein kleiner Lebensmittelladen, dahinter in wenigen Metern Entfernung das Haus der Besitzer. Jeden Tag fährt der Mann in die Kreisstadt, um Lebensmittel einzukaufen. Dann steht seine Frau hinter der Theke. Den Rest des Tages wechseln sie sich ab.

Das Geschäft wirft nicht allzu viel ab, so dass sie auch noch Zubehör für den Brunnenbau verkaufen. Man kann davon leben.
Das Haus wurde selbst gebaut, als man in das Dorf zog. Der eigene Brunnen steht zwischen Bar und Haus. Hinter dem Haus sind Ställe mit zwei Kühen, zwei Schweinen und einer Menge Federvieh. Eine Handvoll Katzen und drei Hunde runden den Haushalt ab.

Der Winter ist hart in dieser Gegend, vor allem, da es im Dorf keinen Gasanschluss gibt. So heizt man mit Holz. Als ich über Weihnachten dort war, habe ich mich fast nur in der Küche aufgehalten, da das der Raum ist, der immer beheizt wird. Besonders schön der Ofen, auf dem das Essen zubereitet und auf dem nachts auch geschlafen wird (da habe ich mich dann aber doch zurückgezogen in eines der vielen Zimmer im Haus).

In der Bar werden Fremde mit großem Respekt, allerdings auch mit einer gewissen Neugierde betrachtet. Leicht kommt man ins Gespräch, vorausgesetzt, man spricht die Landessprache. Dann muss man Fragen beantworten wie: "Wie ist es in Deutschland?"

Eine gewisse, eine gewaltig ins Auge fallende Authentizität kann man dem Leben hier nicht absprechen. Man lebt von dem Angebauten, man arbeitet auf dem Land und mit dem Land. Größeren Luxus gibt es nicht, braucht es vielleicht auch nicht zu geben. Und die Europäische Union ("Uniunea Europeana") ist etwas sehr Fernes, das zwar Einzug in die Nachrichten gehalten hat, aber noch lange nicht in das eigene Leben. Verändert hat sich bisher nichts.
Macht aber auch nichts, denn irgendwie war es schon immer so, wie es jetzt ist und wird es wahrscheinlich auch noch eine ganze Zeit lang bleiben.
Was soll sich auch ändern? Und warum?

Freitag, 14. November 2008

Die Melancholie des Emigranten beim Besuch in der Heimat (Juli 2008)

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(Nicseni, Jud. Botosani)

Die langersehnte Ankunft nach Monaten voller entbehrungsreicher Arbeit, das Warten auf die bekannten Gesichter daheim, den Geschmack, die Gerüche der Kindheit. Doch schon im Augenblick des Ankommens das Bewusstsein dafür, dass die Zeit begrenzt ist und das in diesem Moment die Sanduhr umgedreht wird und die Zeit rückwärts läuft. Rückwärts, bis zum Abschied, der unaufschiebbar am Horizont steht mit all den Tränen und dem Kummer, der das Zurück ins fremde Land einleitet, wo es zwar Arbeit gibt und vielleicht andere, bessere Lebensbedingungen, wo aber die Familie fehlt, die Freunde, alles Vertraute.
Doch sei’s drum, so geht es nun mal im Leben. Also stürzt man sich in den Trubel der Heimkunft, fällt in die Arme der Eltern, der Geschwister – falls diese nicht auch irgendwo im Ausland sind und keinen Urlaub zur rechten Zeit bekommen haben –, Großeltern, setzt sich an den reich gedeckten Tisch, prostet sich glücklich zu und beginnt zu erzählen von dem Leben in der Fremde. Eine Hand am Weinglas greift man in die Tasche und zieht Fotos heraus, zeigt seine Wohnung im Ausland, die Anordnung der Zimmer, häufiger aber noch Bilder von Ausflügen, die man dort in der knapp bemessenen Freizeit unternommen hat, in Gegenden, die den Daheimgebliebenen unbekannt bleiben. Die aber mit vor Staunen weiten Augen von den Besuchen alter Kirchen und Schlösser, Besteigungen fremder Berge und Spaziergängen durch exotisch klingende Städte hören und angeregt mit den Köpfen nicken.
Obwohl man müde von der Anreise ist wird der erste Abend lang vom vielen Erzählen und Essen und Trinken und erst spät fällt man glücklich und erschöpft in die Kissen, die so vertraut und heimelig duften.
Am nächsten Morgen warten bereits die ersten Verwandten, die bereits lange vorher über die baldige Ankunft informiert waren. Wieder beginnt man mit dem Erzählen, wieder werden Fotos herumgereicht. Die Nachbarin von gegenüber findet sich ebenfalls ein, bei der man einen guten Teil der Kindheit verbracht hat und schließt einen in die Arme. Natürlich fließt auch hier und da eine Träne der Freude, des Glücks beim Wiedersehen.
Wieder wird festlich getafelt, all die lang vermissten Speisen aus eigener Herstellung werden aufgetischt, man isst, man trinkt, man badet im Glück der Heimkehr. Und der erste Tag neigt sich auch schon dem Ende zu. Am zweiten, spätestens am dritten Tag beginnt man, in der heimischen Wirtschaft auszuhelfen, sich nützlich zu machen. Man sieht die Mühsal des Alltags und spürt sie am eigenen Leib. Auch sieht man – vielleicht jetzt zum ersten Mal – die Mängel und Probleme in der Heimat, die Schwierigkeiten, mit denen die Menschen tagtäglich zu kämpfen haben, denen man in gewisser Weise entkommen ist. Und gleichzeitig merkt man in diesem Strom von Geborgenheit und Bekanntheit, dass sich etwas geändert hat. Dass man sich geändert hat. Dass man hier zwar Zuhause ist, dass man von jedermann auf der Straße gegrüßt wird und vielen als der Kleine in Erinnerung geblieben ist, der damals…, na weißt du nicht mehr? Trotzdem ist man nicht mehr fester Bestandteil dieser Gemeinschaft. Das erkennt man schon daran, dass man, wenn es um den neusten Tratsch im Ort geht, erst einmal auf den letzten Stand gebracht werden muss: „Mensch, das ist doch die, welche damals dies und jenes und die dann dahin gezogen ist und dann. Na, die jedenfalls ist jetzt. Und zwar mit dem und dem. Erinner’ dich, der hatte doch zuerst und danach war er eine Zeitlang. Genau der.“ – Man ist nicht mehr im Bilde. Gleichzeitig haftet einem das Fremde an. Nicht unbedingt durch die Kleidung, die natürlich auch eine gewisse Veränderung mit sich bringt. Aber das ist es nicht. Es ist der Geruch der Fremde, des Lebens in der Fremde. So kommt es, dass Nachbarn, die man bisher nur flüchtig vom Grüßen auf der Straße kannte, jetzt stehen bleiben und fragen, wie es geht und was man so macht und wie es ist, da, wo man jetzt ist.
Man merkt, dass man die Dinge mit anderen Augen betrachtet, und dass man genau so mit anderen Augen betrachtet wird.
Man beginnt plötzlich, ein bisschen zu …, ja, zu fremdeln. Und langsam wird Einem bewusst, dass man begonnen hat, zwischen den Welten zu leben. Auch wenn man jetzt hier in der Heimat ist, so zeugen allein schon die Etiketten auf der Zahnpastatube und der Duschgelflasche davon, dass man woanders lebt. Ein hoher Preis, den man begonnen hat zu bezahlen, ohne sich dessen von Anfang an bewusst zu sein. Der erbarmungslos ist. Niemand ist immun dagegen. Einen gewissen Schutz bietet das Leben im Ausland unter Seinesgleichen, wo man die eigene Sprache weiterhin spricht, wo abends im Kochtopf wohlvertrautes Essen zubereitet wird. Doch auch dann wird man nicht unberührt bleiben vom Alltag, vom Duft der Fremde, den man bei der Heimkunft in jedem Knopfloch und in jeder Pore mit sich trägt.
Und langsam, aber kontinuierlich verliert man so die eigene Heimat. Es ist kein abrupter Prozess, er muss noch nicht einmal wehtun, vielen wird er nicht bewusst. Trotzdem findet er statt, trotzdem verändert er uns. Zunächst ist man in dem anderen Land ein Fremder, der sich abends nach Hause sehnt und jeden Monat eine viel höhere Telefonrechnung bekommt, als er sich leisten kann. Dann kommt man nach Hause, und ist auf einmal auch dort nicht mehr der Alte, vielleicht kein ganz Fremder, aber auch kein alteingesessener Einheimischer mehr. Dafür fehlt jetzt zuviel des Gewohnten. Also wird man zu einem Heimatlosen, Einem, dem die Wurzeln ausgerissen wurden, der sich nirgendwo mehr zu Hause fühlt. Positiv ausgedrückt, wird man zu einem Vermittler zwischen den Welten, zu einem Kosmopoliten, der sich überall ein Heim einrichten kann. Der den Mobilitätsanforderungen einer modernen Welt optimal entspricht.
Wahrscheinlich ist dies das Lebensmodell der Zukunft, vielleicht schon der Gegenwart. Gibt es noch viele Menschen der jüngeren Generation, die nicht bereits eine gewisse Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet oder studiert haben? Die sich schließlich entschieden haben, ganz dort im Ausland zu bleiben und sich nicht länger vormachen, irgendwann zurückzukehren.
Für Länder wie Deutschland sind das vielleicht weniger, in Rumänien sicherlich bedeutend mehr Menschen, die ihr Glück und ihre Zukunft im Ausland wagen und suchen.
Und die damit dem entsprechen, was seit langem schon von Wirtschaftsexperten und Fachleuten bei Bewerbungskandidaten gefordert wird.

Selbst wenn damit so manches Herz bricht beim Besuch in der Heimat und viele Tränen fließen, vor allem im Sommer und um Weihnachten.

Sonntag, 2. November 2008

Üdreißig - My, oh my

Manche Erfahrungen brauchen etwas länger, bis man sie macht. Und häufig ist es auch gut so. Besser wäre es vielleicht gewesen, man hätte sie niemals gemacht. Andererseits ... wie sagte meine Mutter so schön, als es mal eine heftige Diskussion im Zusammenhang mit meinem Wunsch nach einer regelmäßig und verlässlich garantiert elternfreien Wohnung im zarten Alter von 15 Jahren gab: "Wenn du alles schon jetzt ausprobierst, dann gibt es nichts mehr, worauf du dich freuen kannst, wenn du einmal erwachsen bist."
Neulich also das erste Mal auf einer Ü30-Party gewesen. Interessante Beobachtung beim Betreten der Veranstaltungsräume: Nichtrauchergesetze haben dieses Terrain noch nicht erobert. In gewisser Weise steht auf diesen Partys ja auch die Zeit still. Zumindest was die Musik betrifft. Von den Besuchern kann man das nämlich nicht sagen. Es hat schon etwas Besonderes, wenn Mittvierziger-Muttis mit geschlossenen Augen ihr Haar um den Kopf kreisen lassen und inbrünstig: "She's a little runaway" singen.
Und über allem lag ein wenig auch der Hauch von Verzweiflung, etwas von jetzt oder nie. Es kam mir auch so vor, dass es niemals leichter war, neue Menschen kennenzulernen. Jede Ansprache - nach der Uhrzeit, nach Feuer, nach weiß-nicht-was - muss blitzschnell vorgetragen werden, denn ein "Entschuldige!" wird sofort beantwortet mit: "Na klar, zu dir oder zu mir?"
- Wahrscheinlich völliger Blödsinn, wahrscheinlich alle glücklich in jahrelangen festen Beziehungen mit regelmäßigem GV verankert und nur dort, um zur guten alten Musik - die ja heute längst nicht mehr ist, was sie mal war - ein bisschen die Knochen zu schütteln.
Das meiste gelernt habe ich aber bei der Musik. Auf dieser Party wurde mir nämlich bewusst, was für einen Scheiß ich damals bei den Texten verstanden habe, damals, als sie bei Mal Sandock oder bei ähnlichen Veranstaltungen liefen und ich sie zum letzten Mal gehört habe.

Mein Block - Updated

Tja, nach umfangreichen Renovierungsarbeiten kann es nun endlich weitergehen mit dem Leben in meinem Block. Es war nicht leicht, es hat eine Menge Mühe und Schweiß und Lebenszeit gekostet, doch jetzt ist es soweit: Mein Block in der aktualisierten Fassung:

Mein-renovierter-Block

Donnerstag, 2. August 2007

Auf die (Schweizer) Ohren!

Seit vorgestern ist mein Block zum Pfeiler einer kleinen Radioluftbrücke geworden: Jede Nacht ab 23 Uhr gibt es eine Viertelstunde Radio. Der Zürcher Lokalsender Radio Lora strahlt live aus dem Dock 18, und manchmal auch direkt per Skype aus verschiedenen Ecken Europas.
Keine Ahnung, ob das für die Hörer gut ist, ich weiß noch nicht mal, ob es die überhaupt gibt. Ich find es zumindest spannend. Und auf jeden Fall erzählenswert.

Freitag, 1. Juni 2007

Ioane, der Deutsche hört schon wieder Wagner!

Oder war es Tocotronic? Jedenfalls war es der Moment, in dem mir aufgegangen ist, dass ich machen kann was ich will, meiner Herkunft werde ich doch nicht entkommen.
Ich hatte mir die Hitlerparodie mit Harald Schmidt auf Youtube angeschaut. Als ich Nachbarn im Treppenhaus hörte, habe ich sofort den Ton ausgemacht.

Überhaupt die Nachbarn. Immer wenn ich aus der Wohnung komme, öffnen sie kurz die Tür, schauen mich an, und schließen sie wieder. Ich versuche immer ganz schnell ein "Guten Tag!", bevor die Tür wieder zu geht.

Wenn ich zu einer Verabredung pünktlich erscheine, dann heißt es: Klar, der Deutsche. Komme ich aber ein wenig zu spät: Du hast dich ja schon eingelebt hier!

Es stimmt natürlich: Ich bin der Einzige, der als Fußgänger an der roten Ampel wartet. Und dann bin ich auch der Einzige, der bei Grün fast überfahren wird. Ich habe nämlich festgestellt, dass die Überlebenschancen hier als Fußgänger wesentlich größer sind, wenn man bei Rot geht. Keine Ahnung warum, aber es ist so. Leider hilft mir die Erkenntnis nichts. Ich gehe ja nicht bei Rot (und wenn ich es doch einmal tun würde, meine Kinderstube und alle Überzeugungen und was sonst noch überwinden und bei Rot über die Ampel gehen würde, dann käme garantiert sofort ein Polizist aus irgendeinem Gebüsch, würde mir eine Strafe auferlegen, mir eine Predigt halten, mich womöglich gar wegen Missachtung der gültigen rumänischen Rechtssprechung des Landes verweisen - ist aber egal, ich mach es ja nicht).

Neulich beim Einkaufen sagte ich an der Kasse "Multumesc!" In der Landessprache heißt das "Danke". Der Kassierer schaute mich an, lächelte und sagte dann: "Oh, hello! Where are you from?"
Ich kann nicht sagen, dass sie nicht nett sind. Sie sind es, manche sogar sehr. Was ich aber auf den Tod nicht leiden kann, dass ist die Sache mit den Fingern. Wenn ich zum Beispiel frage, was etwas kostet, dann sagen sie es und halten die Finger hoch: "Vier!" - Wenn ich dann bezahle, mach ich das auch und sage: "Bitteschön, vier!"

Auch mein Friseur. Wenn ich für einen Termin anrufe, dann sage ich nur: "Guten Tag, Herr Sandu!" - Und er weiß wer ich bin. Sagen die anderen nicht "Guten Tag"?
Apropos Friseur: Jedes Mal, wenn ich bei ihm gewesen bin, habe ich ein wenig den Eindruck, als hätte er mir einen wahren Nazischnitt verpasst. Wahrscheinlich kann er nicht anders, wenn er meinen teutonischen Schädel vor sich hat.

Als ich großer Fan von Adrian Copilul Minune war, der jetzt Adi de Vito heißt - allerdings mag ich ihn auch nicht mehr -, da rückten alle meine Kollegen ab von mir und hielten mich für einen reichlich schrägen Vogel. Lange Zeit waren sie sogar der Überzeugung, dass ich für das Graffiti mit "Adi" an der Außenwand der Uni verantwortlich war. Dabei schwör ich, dass ich damit nichts zu tun. Ich muss allerdings gestehen, dass ich die ersten Phrasen der Landessprache mit dieser schon sehr gewöhnungsbedürften Musik gelernt habe.

Jetzt mit Wagner und 2raumwohnung und Rammstein (ne, ganz soweit bin ich noch nicht) erfülle ich meine Aufgabe, alle Klischees eines deutschen Deutschen zu erfüllen.

Vor ein paar Wochen war ich sogar mal in einem bayrischen Restaurant (in Bukarest) - zum ersten Mal in meinem Leben!
Ich mache also Fortschritte. Jawoll!

Der Solitär

Spielt eigentlich noch irgendjemand Solitär? Habe ich mich gerade gefragt. Mit diesen komischen Touchpads am Laptop jedenfalls gelingt es fast nicht, eine Karte von ganz links nach ganz recht oder umgekehrt zu bewegen. Aber wahrscheinlich spielt ja sowieso kein Mensch mehr dieses Spiel. Heute ist man mit falscher Identität unterwegs in fremden Welten, macht Geschäfte und Bekanntschaften. Wahrscheinlich eh die bessere Beschäftigung, als Solitär zu spielen.

Und wie ist das mit dem Rauchen? Hatte ich mich gefragt, als ich widerwillig eine Zigarette angezündet habe. Raucht zum Beispiel Sibylle Berg noch? In ihrem tollen ersten Buch "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" - oder war es das Zweite? - beschreibt sie, wie sie tagelang rauchend in ihrem Zimmer sitzt und liegt. Und irgendwie machte sie - zumindest damals - schon den Eindruck - soweit man das auf Fotos beurteilen kann -, als ob sie raucht.
Von Herta Müller weiß ich, dass sie aufgehört hat. Zumindest vor ungefähr fünf Jahren, als ich sie bei einer Veranstaltung in Potsdam gesehen habe. Herta Müller! Und das ist dann wirklich eine Leistung, schließlich kommt sie aus Rumänien. Wie man weiß - und wie in einem Film über das Land nebenbei gut dokumentiert wurde -, raucht man hier sogar beim Duschen.
Und Friedrich Kittler? Raucht der noch oder hat der aufgehört? Ich weiß noch, wie er bei seinen eigenen Seminaren unentwegt geraucht hat. Wenn sich mal eine der strickenden Studentinnen (meist war es eine Frau und meist strickte sie, und irgendwie war es auch die Zeit damals) darüber beschwerte, hat er ihr vorgeschlagen, zu den auch sehr spannenden Seminaren seiner Kollegen zu gehen. Nicht politisch korrekt, mich hat es trotzdem beeindruckt.

Vielleicht sollte ich aufhören mit Solitärspielen. Oder mit Rauchen. Oder mit Beidem.

Na Prost Mahlzeit!

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Donnerstag, 31. Mai 2007

Ein Freund, ein guter Freund

Die letzte Woche war ich nostalgisch. Immerhin feiert meine alte Schule 100jähriges Jubiläum. Letzte Woche war es auch, dass ich wieder sehr intensiv an meine Deutschlehrer denken musste. Und besonders an ein ganz bestimmtes Buch. Das kam so:
Ich wohne ja in dieser Blockwohnung, die eine kleine Küche, ein Bad, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer hat. Letzteres ist der Raum, in dem ich immer bin, wenn ich nicht gerade schlafe, Essen mache oder auf die Toilette muss. Ok, und wenn ich dusche, dann bin ich auch nicht dort.
Jedenfalls hat das Wohnzimmer nur einen einzigen großen runden Tisch, der ziemlich wackelt. Auch jetzt, wo ich diesen Text schreibe.

Ich hasse es, den ganzen Tag an der gleichen Stelle zu sitzen außer, wenn ich auf der Toilette bin usw.
Deshalb suche ich mir gern ein Plätzchen, an dem ich z.B. Essen kann. Direkt neben dem Fenster hier steht ein Sessel und davor so ein kleines Beistelltischchen. Eigentlich ist das gar kein Tisch, sondern irgend ein Beistellmöbelstück ohne Namen. Da habe ich mir angewöhnt zu frühstücken und meine Butterbrote oder Tütensuppen zu essen. Direkt unter dem Fenster.

Letzte Woche nun telefonierte ich gerade mit jemand Wichtigem, vom Arbeitsministerium. Während ich zuhörte - denn wenn man mit wichtigen Menschen von MInisterien spricht, dann hört man die meiste Zeit zu, selbst wenn man selbst wegen irgendeiner Sache angerufen hat - bemerkte ich plötzlich, dass genau dort, wo ich immer meine wohlverdienten Mahlzeiten einnehme, ein riesengroßes Tier auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte. Ich habe nicht gemessen, aber ich kann beschwören, dass es mindestens 10 Zentimeter groß war.
Ich habe nicht groß nachgedacht - schließlich war ich im Gespräch mit jemand Wichtigem vom Arbeitsministerium -, sondern eine große leere Plastikflasche genommen und damit dem Monsterinsekt mehrfach auf den Kopf gehauen. Das machte natürlich ziemlichen Lärm, da ich hier Parkettboden habe, aber mein wichtiger Gesprächspartner vom Arbeitsministerium merkte offenbar nichts.

Das Ungeheuer wackelte noch eine Zeitlang mit den Antennen, doch ungefähr nach dem zwölften Schlag auf den Kopf war nicht mehr viel übrig als eben diese Antennen und eine breitflächige gelbe Masse.

Als das Telefonat beendet war passierten zwei Dinge mit mir:
Ein schreckliches Grausen überkam mich, die Beine zitterten und die Nackenhaare standen zu Berge. Gleichzeitig dachte ich: Kafka!
Wie im Zeitraffer flogen Eindrücke durch mein Hirn: Das gelbe Reclamheft mit dem Text, der unbarmherzige Deutschlehrer in der sechsten Klasse, eine Inszenierung der "Verwandlung" in Paris mit Roman Polanski in der Hauptrolle.
Und immer wieder der Gedanke: Womöglich konnte es sprechen...

Ich war davon überzeugt, das war der Anfang vom Ende. Wenn ich vom Einkauf kam, rechnete ich immer damit, dass mir die Tür von innen aufgemacht wird. Freunden kündigte ich an, dass womöglich demnächst jemand anderes Telefonate entgegennehmen wird.
Aber nichts geschah.
Ich kam zu dem Ergebnis, dass dieses Ungeheuer wahrscheinlich aus dem Schnabel eines vorbeifliegenden Vogels direkt in mein Wohnzimmer geflüchtet war (was ihm nicht viel geholfen hat). Schließlich wohne ich in der fünften Etage!

Ein paar Tage später kam ich von einer Verabredung abends nach Hause und stellte vor der Haustür fest, dass die Treppen nur so wimmelten von Hunderten dieser Untiere. Allerdings waren nicht alle so groß wie mein Besucher.
Ich bin schnell in meine Wohnung gegangen und habe alle Fenster geschlossen. Schließlich war ich mir nicht sicher, ob sie nicht womöglich von außen an der Fassade hochklettern und ins erste offene Fenster steigen. Das sollte dann natürlich nicht meines sein!
Als ich am folgenden Tag Besuch von einem Postkurier bekam - sonst besucht mich hier niemand, von dem Insekt einmal abgesehen, aber das zählt vielleicht nicht -, fragte ich ihn, ob er sich mit Kakerlaken auskenne. Er guckte erst irritiert und beantwortete dann meine Frage. Nein, sie würden nicht die Fassade hinaufklettern. Allerdings kommen sie auf andern Wegen, z.B. durchs Treppenhaus.
Ein schwacher Trost, wenn man den Spalt unter meiner Wohnungstür kennt.

Vorhin bin ich nach Hause gekommen und habe wieder das lustige Treiben auf den Treppen vor dem Hauseingang bewundert.
Als ich mich näherte, ist einer der größeren Kollegas ganz ruhig geblieben. Er hat hin und wieder ein wenig mit den Antennen gezittert, sich aber nicht gerührt. Das Rotlicht meines Foto-Apparats schien ihm zu gefallen. Der Blitz hat ihn nicht gestört.
Ich hoffe nur, er hat unsere kleine Fotositzung nicht als Einladung zum gemeinsamen Tee verstanden.
Das Epilieren hat man Gregor Samsa aber offenbar nicht in die Wiege gelegt.

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Mittwoch, 16. Mai 2007

In eigener Sache

Wer lieber ausländisch lesen mag, der kann das hier tun: http://ambulito.blogspot.com, wo ab jetzt ähnliche Inhalte in fremder Zunge entstehen.

Dienstag, 15. Mai 2007

Deutsche, raus aus dem Ausland! - oder zumindest die Hungrigen

Es gibt Situationen, da kann man zum Rassisten werden. Und dann solche Titel schreiben. Wer weiß, in welches Teufels Küche mich das noch bringt.

Aber es ist doch wahr.

Nach langem Suchen – ok, richtig gesucht hab’ ich gar nicht, aber das Ergebnis zählt – hatte ich am letzten Wochenende ein Restaurant entdeckt, wo man neben den landesüblichen Speisen auch ein paar ganz besondere Dinge essen konnte: Bratwurst, Kaiserschmarrn, Knodel und Spatzle (so stand es auf der Karte).
Auch wenn ich nicht aus jener Gegend stamme, so schmeckten mir die Spätzle ausgesprochen gut. Sehr gut sogar.
Am nächsten Tag führte ich meine Herzensgefährtin genau dorthin, da ihr diese Speisen wallachische Dörfer waren.
Der selbe Tisch wie am Tag vorher, der selbe freundliche Kellner, das gleiche Sommerwetter und vielleicht sogar die selbe Speisekarte (zumindest die gleiche). Ich bestellte „Das Gleiche wie gestern.“ Der Kellner hob die Arme und sagte entschuldigend: „Tut mir leid, aber wir haben keine Spatzle mehr.“
Vor meinem inneren Auge entstand ein unangenehmes Bild (Szene nachgestellt):

spatzlefreie Mahlzeit

Was sollten wir tun? Meine Gefährtin entschied sich für die Knödel (bzw. Knodel) und ich nahm irgendwas Fleischiges mit Kartoffeln.
Als ich den Kellner nochmal nach den Spätzle fragte, gab er mir folgende Erklärung:
Am Vorabend gegen vier Uhr morgens war eine Gruppe von 35 Gästen gekommen – Deutsche, wie ich erfuhr -, die den gesamten Vorrat an Spätzle aufgefressen haben. Um sechs Uhr wurden sie nervös, als sie erfuhren, dass es keine Spätzle mehr im Haus gab (womöglich waren in der ganzen Stadt keine schwäbischen Nudeln mehr zu haben).

Warum um alles in der Welt exportieren die Deutschen erst ihr Essen in fremde Länder, um dann hinterher zu reisen und alles selbst aufzuessen.

Heute bin ich wieder ein wenig entspannter. Zum Glück haben die hungrigen Teutonen nicht alles Essen aus Deutschland verdaut.

Ersatzmahlzeit an spatzlefreien Tagen

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